Offener Brief

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,

Als Fellbacher Bürger lese ich in den letzten Monaten öfters von der Einrichtung eines Umweltausschusses in der Presse oder im Stadtanzeiger. Schon sein Name war offenbar ein Kraftakt. Als Begleitmusik wurde nach einigem Fingerhakeln im Gemeinderat eine halbe Klimaschutzbeauftragte eingestellt.

Offenbar waren mehrere Aufrufe an sachverständige Einwohner/innen in der Stadt notwendig. Das spricht nicht gerade dafür, dass der Andrang alle Erwartungen übertrifft. Da ich schon einmal in einem solchen Gremium mitgearbeitet habe und auch über einige einschlägige Kenntnisse verfüge, habe ich mir die Unterlagen dann irgendwann nach dem zweiten Aufruf genauer angesehen und schildere Ihnen hier meine Eindrücke.

Das Unbehagen fing schon mit dem Aufruf selber an. Wie spiegeln sich da eigentlich die Kernaufgaben einer Stadt im – allerdringendsten! – Handlungsfeld Klimaschutz in den nachgefragten Bürgerkenntnissen wider? Das geht nicht über ein sparsames “Mobilität” hinaus. Wenn wir da weiter kommen wollen, muss die Stadt aber vor allem die Energiesparte der Stadtwerke (unbenommen historischer Verdienste) sehr viel offensiver nutzen, zum anderen ebenso energisch ihre Klimaschutz-Hausaufgaben im Verkehr machen. Steht das eher nicht drin, kann man seine Schlüsse ziehen.

Dagegen sind Kenntnisse in Weinbau und Tourismus etc. offenbar dringender erwünscht. Sitzen etwa noch nicht genug Garten- Wein- und andere Bauern im Bauausschuss, der den beschließenden Kern des neuen Umweltausschusses bildet? Ich kam schnell auf fünf von zwölf. Diese Berufe mögen einen gewissen Bezug zum Artenschutz haben, der wohl das zweitdringendste Umweltproblem darstellt. Was der organisierte Naturschutz über diese Berufszweige denkt, dürfte Ihnen bekannt sein.

Auch der technische Umweltschutz, bspw. Abwassertechnik, wird im Ausschuss offenbar nicht so dringend benötigt. Hat die Stadt keine Kläranlage? Hier mögen Sie – wie auch bei der Energie – einwenden, dass die Stadt da über genug eigenes know-how verfügt. Das Problem ist, dass das in den letzten dreissig Jahren in den Augen von Klimabewegung und Naturschutz leider wenig genutzt und daher sehr viel Vertrauen gekostet hat. Mehr demokratische Öffnung heißt bestimmt nicht, dass man diese Bereiche vom Dialog mit interessierten und sachkundigen Bürger/inne/n ausklammert.

Damit kommen wir zu den “Formalien”, besonders der Geschäftsordnung des Umweltausschusses. Habe ich da wirklich gelesen, dass die sachkundigen Einwohner/innen im Ausschuss nicht einmal antragsberechtigt sein sollen? Die Gemeindeordnung versagt ihnen ohnehin schon des Stimmrecht. Übrig bleibt also, Kommentare zu den vorgelegten Drucksachen abzugeben. Nach meiner Erfahrung werden sie sogar noch warten, bis man sie ausdrücklich um ihre Meinung bittet. Meine Güte – wie viel Angst hat dieser Gemeinderat eigentlich vor mehr demokratischer Öffnung? Es geht auch nach GemO anders.

Mehr Vertrauensbildung und Dialog würde erst einmal heissen, dass die Ausschüsse des GR – gerade auch der Bau- und Verkehrs-Ausschuss – wann immer nach GemO möglich – öffentlich verhandeln statt fast regelmäßig geheim. Wie wird das der neue Umweltausschuss dann eigentlich halten?

Das Sahnehäubchen auf diesem bis hierhin ziemlich entmotivierenden Eindruck war dann noch das Auswahlverfahren für die sachkundigen Einwohner/innen. Da die Stadträte überwiegend kaum über Sachkunde verfügen dürften, können und werden sie da wohl in erster Linie nach politischer Stromlinienförmigkeit entscheiden. Zumindest muss man das dringend befüchten (zum Vertrauen: siehe oben). Im Grunde ist das irgendwie entwürdigend. Glauben Sie, dass sich das, bspw., ein FH-Professor für Umweltschutz antut? Warum bleiben sie da nicht gleich unter sich?

Diese ganze Angelegenheit spricht Bände über den Unwillen, wirklich etwas zu ändern. War da nicht noch im Vorfeld der Einstellung der Klimaschutzbeauftragten die Idee, die grüne Öffentlichkeitsarbeit an ein externes Büro zu vergeben (s.o.)? Ich glaube, Verwaltungsspitze und Gemeinderat stehen mehrheitlich immer noch an dieser Stelle: Klima- und Artenschutz sind eine PR-Angelegenheit und nicht existenzielle gesellschaftliche Organisationserfordernisse.

mit freundlichen Grüßen
Dr. R. Borkowski

Fellbacher Bürger und Kreisrat