Fellbach bricht auf

(sta) Zuerst in den 70ern die Ölkrise, dann die Grünen, die gegen Atomkraft und Flächenverbrauch kämpften, in den 80zigern die Friedensbewegung, die 90ziger als wiedervereintes Land, gefolgt von Ozonloch und Klimakrise, die FFF, alles heftig umkämpft und Stoff für harte und ausdauernde Debatten und Massendemonstrationen. Unser Lebensstil, alles schnell, effizient, streng getaktet, mit Burn-out- Option. Im Alltag fleissig, im Urlaub ab in die Ferne in fremde Länder und Erdteile. Unsere Kleidung billig fabriziert von schlecht bezahlten Menschen, die wir nie sehen in den südlichen Sehnsuchtsländern. Unsere Wohnungen, groß, komfortabel, geheizt und klimatisiert, unsere Autos, jedes Modelljahr bringt größere Fahrzeuge, der Treibstoffverbrauch und die Emmisionen sinken trotz ausgefeilterer Technik nicht. Unsere Felder sind mit Plastik überzogen, das Unkraut wird nach wie vor mit Glyphosat vernichtet. Die Früchte kommen mit dem Flieger vom anderen Ende der Welt und in langen Lkw-Kolonnen aus dem südlichen Europa. Rumänen und Bulgaren machen auf unseren Feldern den Rücken krumm, weil jemand ja den Spargel und die Beeren ernten muss, und wir das nicht wollen. Und dann fegt ein winziges Virus alle Gewissheiten und alle Gewohnheiten beiseite. Wir alle erlebten ein anderes Land, eine andere Stadt: Radikaler Stillstand, bisher undenkbar, plötzlich normal. Homeoffice, statt Hektik im Büro. Keine Schule, wo vor 1 Jahr beinahe das Abendland unterging, weil am Freitag ein paar Schüler streikten. Weniger Lärm, schlafen bei offenem Fenster, sonst unmöglich, nun schon Gewohnheit. Morgens nicht von Motorengedröhn sondern von Vogelgezwitscher geweckt werden, welch herrlicher Start in den Tag. Andernorts, im fernen Berlin machte man gleich Ernst und markierte Fahrbahnen zu Radspuren um, und die neue Mobilität ist leise, sauber und genauso schnell. Weltweit verändern Menschen in Windeseile ihre Gewohnheiten, eine Pionierleistung ohne Beispiel. Licht und Schatten gehören zusammen. Das Schicksal schickte uns das Virus und wir machen das Beste draus, indem wir die schädlichen Immisionen durch gute ersetzen. Machen wir unsere Stadt schöner für leisen Verkehr, verbannen wir die Verbrenner am Boden und in der Luft, lassen wir leise und saubere Busse fahren für uns alle. Denken wir auch in einem Monat oder einem Jahr noch an die Heldinnen und Helden des Alltags in den Krankenhäusern, den Pflegeheimen, im Einzelhandel, der Polizei und helfen wir ihnen durch Busse und S-Bahnen, die sie auch sonntags sehr frühmorgens und spätabends zur Arbeit und wieder nach Hause bringen. Entlasten wir Eltern, besonders die Mütter, die unter dem Corona-Shutdown besonders und mehrfach gefordert waren, indem wir die Busse auch tagsüber häufiger fahren lassen. Dann können auch schon kleinere Kinder alleine zur Musikschule, zur Bibliothek, zur Freizeitgruppe oder zu Schulfreunden nach Hause und die Mütter und Väter müssen sie nicht chauffieren. Gönnen wir den Kindern dauerhaft mehr Platz in Klassenzimmern und Kitas. Und mehr Lehrpersonal und Betreueende. Statten wir die Pflegeheime mit mehr und besser bezahltem Personal aus – eines Tages profitieren auch wir davon. Erhalten wir die erfahrene Solidarität unter Nachbarn auch nach der Krise. Warum nicht weiter für die Älteren und hilfsbedürftigen einkaufen, wer weiß, was daraus entstehen kann. Denken wir an die Friseure, die Beschäftigten in Fitnessstudios, in Kosmetiksalons, an die Wirte und Hoteliers, und wie wir, auch selbst mit weniger Geld versehen, ihnen beim Neustart behilflich sein können. Krempeln wir weiter die Ärmel hoch, geben wir dem wirklich Wichtigen die Vorfahrt und gestalten gemeinsam unsere Zukunft hier vor Ort.